Andreas Leu– Es gibt Industriesparten wie die Medizinaltechnik oder Optolelektronik, bei denen Antriebe einerseits sehr kompakt sein sollen, anderseits müssen sie über eine hohe Präzision und Dynamik verfügen. Das Unternehmen Faulhaber Minimotor SA aus der Südschweiz entwickelt seit Jahrzehnten Antriebssysteme, die auf solch spezielle Anforderungen zugeschnitten sind. Die «Aktuelle Technik» sprach mit Rolf Leitner, Verkaufsleiter von Faulhaber Schweiz, über den Entwicklungs- und Produktionsstandort Schweiz, die Technologie und besonders interessante Applikationen.
Herr Leitner, seit dem Jahr 1962 ist die Firma Faulhaber Minimotor SA im Kanton Tessin ansässig und hat immer daran festgehalten. Da der Tessin als Sonnenstube der Schweiz gilt: Ist es vielleicht des schönen Wetters wegen? Oder gibt es andere Gründe dafür?
Natürlich ist das Wetter meist gut und der Wein fruchtig und gehaltvoll. Trotzdem waren dies nicht die entscheidenden Gründe für Dr. Fritz Faulhaber. Er erkannte jedoch schon früh die Kreativität der Tessiner und Norditaliener. Die hat man sicher genutzt, und sie hat sich durch immer wieder neue und innovative Produkte bestätigt. Diese waren und sind immer noch technisch hochstehend und trotzdem einfach zu handhaben. Das Tessin entstand damals 1962 als zweites Standbein des Unternehmens. Der erste Standort wurde 1947, also kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in Schönaich in Süddeutschland gegründet. Heute betreibt Faulhaber mehrere Produktionsstandorte. Der grösste befindet sich in Schnaich, der zweitgrösste in Groglio im Tessin. Zudem produzieren wir in Ungarn und in Rumänien. In der Schweiz gehört noch eine Produktionsstätte in La Chaux-de-Fonds dazu. Diese Betriebe verfügen über unterschiedliche Produktkompetenzen. In Groglio befindet sich zum Beispiel das Kompetenzzentrum für Getriebe aller Art, vor allem für sehr kleine Antriebe von 6 bis 10 Millimetern Durchmesser.
Faulhaber hat sich seit jeher auf kompakte Kleinantriebe konzentriert. Wird an dieser Strategie und Ausrichtung des Unternehmens nach wie vor festgehalten?
Unsere Art, Antriebe zu fertigen, hat bestechende Vorteile. Diese kommen vor allem bei kleinen Antrieben zum Tragen. Es ergibt keinen Sinn, einen Antrieb über 1 Kilowatt mit unserer eisenlosen Wicklungstechnologie zu entwickeln. Deshalb konzentrieren wir uns bei Faulhaber spezifisch auf Kleinantriebe.
Wie unterschiedet sich die eisenlose Wicklungstechnik gegenüber der konventionellen?
Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Glockenankertechnologie, die man kann sich tatsächlich wie eine Glocke vorstellen kann. Der Magnet ist dabei als Rotor innenliegend. Bei konventionellen Gleichstromantrieben liegt der Magnet aussen, also als Stator. Wir erhalten auf diese Weise eine wesentlich kompaktere Bauform, der Antrieb wird dadurch kleiner, und die Anwender profitieren von einem deutlich höheren Wirkungsgrad. Im Gegensatz zu den bekannten bürstenlosen Servomotoren (elektronisch kommutierte Servoantriebe) verfügen unsere Motoren über einen eisenlosen Rotor. Ein klassischer Servomotor besitzt einen Stabanker aus Eisen, auf dem die Wicklung angebracht wird. Faulhaber-Motoren besitzen eine selbsttragende Wicklung ohne Eisen. Wir erhalten dadurch kein Rastmoment, da sich der Rotor nicht mit den Magneten ausrichtet. Ausserdem garantiert das geringe Rotorträgheitsmoment eine bessere Dynamik im Start- und Stopbetrieb. Als zusätzlicher Vorteil ist noch die niedrige Welligkeit und die dadurch geringen elektromagnetischen Störungen zu erwähnen. Als Rückführung für die Rotor-Lageerfassung arbeiten wir typischerweise mit hochauflösenden Encodern. Diese erfassen sowohl Position als auch die Geschwindigkeit.
Welche Produkte und Systeme werden von Faulhaber in der Schweiz entwickelt und produziert?
Das sind in erster Linie die kleineren bürstenlosen und bürstenbehafteten Motoren von 6 bis 13 Millimetern Durchmesser. Dann werden sämtliche Getriebe in der Schweiz entwickelt und praktisch zu 100 Prozent auch gebaut. An unserem zweiten Standort in La Chaux-de-Fonds befindet sich das Kompetenzzentrum für die Schrittmotoren. Diese werden dort entwickelt und hergestellt. Die dazugehörigen Motoransteuerungen sind Eigenentwicklungen und finden ihren Einsatz vor allem bei Laboranwendungen. Dies im Gegensatz zu den Positions- und Drehzahlreglern, die wir in unserem Haus in Deutschland entwickeln.
Sind die Produktionskosten in der Schweiz für Faulhaber tragbar? Was spricht für den Produktionsstandort Schweiz?
Uns kommt dabei natürlich der grenznahe Standort im Tessin zugute. Wir können auf der einen Seite auf hochqualifizierte Ingenieure wie auch auf kostengünstigeres Personal zurückgreifen. Dies erlaubt uns, weiterhin am Standort Tessin festzuhalten und trotzdem konkurrenzfähige Preise anzubieten.
Faulhaber beliefert spezielle Industriezweige wie Medizintechnik, Optik, Luft- und Raumfahrt sowie auch die klassischen Märkte wie Fabrikautomation und Robotik. Welche Märkte sind in der Schweiz besonders wichtig für Ihr Unternehmen?
Wie Sie richtig feststellen, handelt es sich dabei um Spezialgebiete in der Anwendung, bei denen unsere Antriebe eingesetzt werden. Also nicht z. B. in elektrischen Eisenbahnen oder Scheibenwischermotoren, das ist nicht unsere Domäne, denn hier handelt es sich um Massenware. Wir sind dort stark, wo ein Antrieb mit ganz spezifischen Eigenschaften benötigt wird, wie im Medizinalsektor. In diesem Bereich ist Faulhaber besonders stark vertreten. Dies gilt sowohl für die Schweiz als auch für das internationale Geschäft. In der Medizinalbranche passen unsere Antriebe, weil sie sehr klein, präzise, geräuscharm und leistungsstark sind. Zudem müssen sie über eine hohe Dynamik verfügen, es sind oft kurze Beschleunigungs- und Bremswege gefordert. Dies sind alles Anforderungen, die Motoren aus der Massenware nicht erfüllen.
Können Sie uns einige Anwendungsbeispiele nennen?
Da wären an dieser Stelle Maschinen für das Lasern von Augen zu erwähnen. Mit diesen muss sehr präzise gearbeitet werden. Etwas erfahrungsgemäss unangenehmere Applikationen sind Bohrer für Wurzelkanalsanierungen an den Zähnen. Die Ärzte und Patienten wollen, dass sie klein und leise sind, sie sollen zudem nicht stark vibrieren. Vor allem aber darf der Motor auf keinen Fall stillstehen, egal, was passiert. Als weitere Anwendung ist die Insulinpumpe anzuführen, die ein Mensch im Körper trägt. Sie fördert tagein tagaus das Insulin und muss ebenfalls sehr zuverlässig funktionieren.
Als eine der Medizin nahe Branche wäre die Laborautomation anzubringen. Hier gibt es auch einige Roboteranwendungen wie z. B. den Pipettierroboter.
Aber auch in der klassischen Maschinenindustrie werden Faulhaber-Antriebe verwendet. Werkzeuge zu- und wegführen, Förderbänder, wenn sie besondere Anforderungen bezüglich Dynamik und Geschwindigkeit erfüllen sollen. Wie bereits erwähnt handelt es sich in der Regel um Spezialanwendungen. Falls eine Person mehrere eher teurere Automatikuhren besitzt, kann er ja nicht alle gleichzeitig tragen. Dafür gibt es sogenannte Uhrenbeweger. Diese rotieren eine Uhr ständig und halten sie in Bewegung. Da die Uhr, auch wenn sie nicht getragen wird, präsentiert werden soll, muss der Motor nahezu geräuschlos sein.
Kommen wir zum Thema Präzisionsantriebe. Mit welcher klassischen Antriebstechnologie wie Schrittmotor, Servo- oder Linearantrieb lässt sich überhaupt die höchste Präzision erreichen, und wie wichtig ist dabei das Zusammenspiel Antrieb und Kinematik?
Auf den Punkt gebracht: Die Anforderungen punkto Präzision sind sehr anwenderspezifisch. Wir können dank unserer Technologie und dem breiten Angebot praktisch alle Kundenanforderungen erfüllen. Manchmal ist es ein Linearantrieb, manchmal ein DC- oder Stepper-Motor. Auch mit einem Schrittmotor im Microstepping-Betrieb erhält man heute sehr gute und präzise Resultate. Mit einem hochauflösenden Encoder mit 40 000 Steps / Umdrehung bringen wir eine hohe Positioniergenauigkeit. Die Mechanik setzt in der Regel die Grenzen. Mit unseren Linearantrieben erreichen wir eine Genauigkeit von einigen zehn Mikrometern.
Auch die Wahl des Getriebes spielt bei der Präzision eine Rolle. Mit ausgesuchten Komponenten ist hier noch einiges zu erreichen. Wenn wir ein mechanisch vorgespanntes Stirnradgetriebe verwenden, sprechen wir von einem Spiel von praktisch Null. Sie sind extrem spielarm und auf Umkehrspiel optimiert. Sie sind passgenau zu unseren Motoren, und der Kunde erhält sie vormontiert und getestet.
Die höchsten Anforderungen an Präzision finden wir erneut in der Medizinalbranche und in der Optik, namentlich bei der Mikroskopie.
Heute wird mit Antrieben eine Präzision im Mikrometerbereich erreicht. Welche Maschinentypen und Industrien benötigen solche Systeme?
Wichtig ist in diesem Zusammenhang folgendes: Bis anhin war der Motor in der Regel rotativ, und es wurde sozusagen die Mechanik dazu gebaut. In den Direktantrieben gibt es keine rotierenden Teile mehr. Auf die Umsetzung der rotativen in eine lineare Bewegung, sei dies mit einem Zahnriemen oder einer Spindel, wird verzichtet. Mit dieser Technologie wird eine andere Dimension von Leistungsfähigkeit erreicht. Der Anwender kann damit hochdynamisch beschleunigen und abbremsen. Diese Antriebstechnologie verspricht für die Zukunft hohes Potenzial was die Dynamik angeht, denn die Wirkungsgradverluste, die durch die Umsetzung der rotativen auf die lineare Bewegung entstehen, fallen weg.
Es ist natürlich schon so, dass der Motor, der bei uns im Katalog zu finden ist, eine Produktebasis bildet. Wenn es darum geht, unseren Motor in eine Mechanik zu integrieren, arbeitenwir eng mit dem Kunden zusammen, um das beste Resultat zu erreichen. Die Umsätze der Katalogprodukte liegen deshalb bei Faulhaber «nur» bei ca. einem Drittel. Der grössere Teil sind kundenspezifische Lösungen. Der Motor wird jeweils genau auf die spezifische Applikation entwickelt und gefertigt.
Sind in Zukunft noch technische Fortschritte in Dynamik und Präzision zu erwarten? Arbeitet Faulhaber bei der Forschung von neuen Technologien mit Partnern wie Hochschulen oder Instituten für anwendungsorientierte Forschung zusammen?
Der grössere Anteil der Grundlagenforschung findet im Stammhaus Schönaich statt. In der Schweiz sind es auch noch einige Mitarbeiter, die sich damit beschäftigen. In Deutschland arbeitet das Werk sehr eng mit dem Fraunhofer-Institut zusammen. In der Schweiz kooperieren wir sowohl mit der ETH als auch mit der EPFL. Diese Institute unterstützen uns primär bei der Optimierung der Motoren, zum Beispiel bei der Wicklungsart. Dieses Jahr wird Faulhaber einen Motor mit einer neuen Wicklung auf den Markt bringen. Es wird ein allerdings ein absolutes High-End-Produkt sein. Ein solcher Technologiesprung passiert allerdings nicht jedes Jahr. Die meisten Optimierungen geschehen eher direkt im Zusammenhang mit einer Anwendung. Das sind diejenigen Aufgaben, die wir zusammen mit den Hochschulen angehen.
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